Digitalisierung und Circular Economy
Digitalisierung spielt für die erfolgreiche Umsetzung der Kreislaufwirtschaft eine zentrale Rolle*. Digitale Technologien sind Enabler und Treiber für Zirkularität in Deutschland und weltweit. Die Bundesregierung kooperiert eng mit Partnerländern im „globalen Süden“, um digitale Lösungen und Produktpässe weltweit zu etablieren (vgl. Kap. 6 des Strategietextes). Die zentrale Voraussetzung für viele Maßnahmen und Strategien der Circular Economy ist dabei die Transparenz in der Wertschöpfungskette. Physische Stoffströme müssen mit digitalen Datenströmen verknüpft werden. Auf dieser Grundlage können die Lebenswege von Materialien und Produkten über die Wertschöpfungsstufen nachverfolgt werden. Das ermöglicht die Analyse und letztlich auch Optimierung von Stoffströmen und Ressourceneinsatz. Weitere Ansatzpunkte ergeben sich für neue Geschäftsmodelle der Kreislaufwirtschaft wie Product-as-a-Service-Angebote oder auch spezifische digitale Lösungen und Plattformen. Hiermit kann der nachhaltige Konsum gefördert und die Reparatur und Wiederverwendung gestärkt werden. Es lassen sich das Wegwerf- und Entsorgungsverhalten besser lenken und Märkte für Sekundärrohstoffe stärken, um Ressourcen im Kreislauf zu halten. Daten und das Wissen zu realen Stoffströmen und zur Wirkung von Kreislaufwirtschaftsstrategien und -maßnahmen sind darüber hinaus die Grundlage für ein effektives Umsetzungsmonitoring und die Evaluierung und Weiterentwicklung von Politikmaßnahmen.
*Das Handlungsfeld „Digitalisierung und Circular Economy“ behandelt den Beitrag digitaler Lösungen für die Realisierung einer Circular Economy. Die Ressourcenverbräuche der dafür erforderlichen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sind ein eigenes Handlungsfeld und werden auch dort adressiert.
Um Deutschland als Technologieführer für digitale Circular Economy zu etablieren, werden in den folgenden Bereichen konkrete Maßnahmen die Potentiale der Digitalisierung für eine Circular Economy ausschöpfen:
Der digitale Produktpass (DPP) wurde von der Europäischen Kommission initiiert. Der DPP ist in der EU-BattVO zur Einführung ab 2027 vorgegeben, wird in der Ökodesign-Verordnung definiert und ist u.a. auch in den Entwürfen der Regulierungen für Spielzeuge, Detergenzien und Bauprodukte vorgesehen. Über die nächsten Jahre wird auf Basis der vorgesehenen konkreten EU-Regeln für die einzelnen Produktgruppen nahezu jede Branche ihre Produkte und Materialien mit digitalen interoperablen Digitalen Produktpässen ausstatten.
Der DPP soll nach Absicht der EU ein zentraler Informationsträger in einer digital-unterstützten Kreislaufwirtschaft werden. Er kombiniert Datensätze von Materialien und Produkten bspw. zu Inhaltsstoffen, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit, die zwischen den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren der Wertschöpfungskette geteilt und digital verarbeitet werden können. Über den Produktlebenszyklus hinweg sollen diese Datensätze mit weiteren Informationen der Produktnutzung bspw. zu durchgeführten Reparaturen ergänzt werden. Derzeit läuft die konzeptionelle Entwicklung des DPP und der ermöglichenden Technologien. Neben regulatorischen Vorgaben zu den Kernelementen Data Carrier, Unique Identifier und zentraler Registratur sind öffentlich geförderte Projekte auf Bundes- und EU-Ebene mit konkreten Entwicklungen des DPP befasst. Ein Standardisierungs-Request der EU unter Federführung des DIN erarbeitet bis Ende 2025 die notwendigen Normen. (vgl. Kap. 3.4 des Strategietextes).
Schon jetzt werden immer mehr Daten in den industriellen Lieferbeziehungen zwischen Zulieferern und Abnehmern ausgetauscht. So bilden sich gemeinsame Datenräume der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy Data Spaces). Das gilt für die DPPs genauso wie für spezifische Segmente einer einzelnen industriellen Lieferkette oder für aggregierte Betrachtungen von Sektoren und Industrien. Die Aufgabe ist daher, mit den Datenräumen einen dezentralen, vernetzten Wissensspeicher der Circular Economy zu schaffen, welcher datenbasierte Kollaborationen ermöglicht und die Skalierung wirksamer Systemlösungen fördert.
Die Einführung des DPP und der Aufbau von Datenökosystemen schaffen neue Möglichkeiten für die systemweite Analyse von Stoff- und Warenströmen. Voraussetzung ist, dass Daten unterschiedlicher Herkunft miteinander verknüpft und z.B. mit Blick auf spezifische Materialien, kritische Rohstoffe oder den Anteil von Produktgruppen oder von zirkulären Angeboten ausgewertet werden können. Geschäftsgeheimnisse und Datenschutz sind zu gewährleisten ist. Dabei gilt es zu beachten, dass bei globalen Wertschöpfungsketten internationale Standardisierung über die Normungsarbeit und Vergleichbarkeit von Analyse- und Messdaten erreicht werden muss.
Die deutsche Wirtschaft hat auf Basis von Industrie 4.0 Technologien wichtige Voraussetzungen für die Umsetzung von DPP geschaffen, aber viele Unternehmen und Branchen werden noch Unterstützung für deren Einführung benötigen.
Ziel ist, bis 2030 die Informations- und Datensysteme für eine voll entwickelte digital-zirkuläre Wirtschaft in Deutschland zu etablieren, um es so den Unternehmen einfacher zu machen, relevante Informationen auszutauschen.
Maßnahmen
Zur Erreichung der Ziele sind auf Bundes- oder EU-Ebene u.a. die folgenden Maßnahmen erforderlich:
Eine Initiative „Digitaler Produktpass“ um die Einführung des DPP mit geeigneten Datenraumkonzepten zu verbinden, wie diese z.B. in Manufacturing-X auf Basis der Industrie 4.0 entwickelt werden. Die Initiative soll geförderte Pilotprojekte (DPP-Leuchtturmprojekte) in Schlüsselsektoren (u. a. Kunststoffe, Textilien, Elektronik, Verpackungen, Batterien und Fahrzeuge, Bauwirtschaft und Gebäude) mit besonderer Relevanz vorbereiten und umsetzen, um Praxiserfahrungen zu sammeln und Kompetenzen aufzubauen. Um eine Diffusion und Skalierung der Datenraumlösungen zu ermöglichen, sollen in den DPP-Leitprojekten DPP-spezifische Use-Cases konzipiert und erprobt werden unter Einbeziehung von KMUs. Um Doppelarbeit zu vermeiden, sollte die Umsetzung an Manufacturing-X (MX) andocken, da hier bereits erste DPP Use Cases erprobt wurden und werden. Die Leitprojekte sollen zur durchgängigen und branchenübergreifenden Entwicklung in einem gemeinsamen Gremium, analog des Guidance-Board bei MX, zusammenarbeiten und ihre Entwicklungen abstimmen. Eine Abstimmung mit dem MX-Guidance-Board sollte erfolgen.
Zur Unterstützung der Einführung der Produktpässe werden insbesondere für KMU niedrigschwellige Angebote und Dienstleistungen im Rahmen von spezifischen Förderprogrammen entwickelt. Die Informations- und Förderangebote für KMU sollten auch seitens der EU gestärkt werden.
Kreislaufdienliche Ausgestaltung des DPP in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament im Zuge der laufenden EU-Regulierung von Produktgruppen, effektiv und angemessen (Aufwand, Komplexität) auf Branchenebene.
Einrichtung einer Koordinierungsstelle „Informationssysteme der Kreislaufwirtschaft“ im Rahmen der Plattform zur Begleitung der Umsetzung der NKWS (vgl. Kap. 7.2 des Strategietextes). Ziel dieser neuen Stelle ist eine Koordinierung der Akteurinnen und Akteure zur Sicherstellung von Konsistenz und Kompatibilität von Datenströmen und -anwendungen im Kontext der künftigen DPP, um Transparenz zu schaffen und den Transfer von Erfahrungen zu leisten.
Besondere Bedeutung für die Kreislauffähigkeit eines Produkts hat die Design- und Konstruktionsphase am Beginn des Lebenszyklus, die ausschlaggebend ist für die Materialauswahl, Materialreduzierung, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit (vgl. Kap. 3.2 des Strategietextes). Digitale Design- und Konstruktionswerkzeuge erleichtern z.B. durch KI-Unterstützung in Verbindung mit leicht zugänglichen und kontinuierlich verbesserten Materialdaten die Bewertung verschiedener Optionen der Zulieferkette und Materialien. Mit digitalen Lösungen lassen sich komplexe, multikriterielle Konstruktionsaufgaben und Optimierungsprobleme mit dem Ziel optimaler Ressourcenschonung lösen und ein virtuelles Engineering für die nachgelagerten R-Strategien von Beginn an durch Modellierung als sogenannter digitaler Zwilling mitdenken (z.B. repair, refurbish, remanufacture, repurpose). So wird eine Modellierung von Produkten und Prozessen als digitaler Zwilling und eine ganzheitliche, vorausschauende Simulation der wirtschaftlichen und ökologischen Performance von zirkulären Lösungen über den gesamten Lebenszyklus möglich.
In der Produktion bietet der digitale Werkzeugkasten der Industrie 4.0 vielfältige Möglichkeiten zur optimierten Steuerung von Maschinen und Anlagen, z.B. mit Blick auf reduzierte Stillstandzeiten, effizientes Temperaturmanagement oder Vermeidung von Ausschuss und Abfällen. Auch hier bieten digitale Zwillinge von Anlagen und Prozessen neue Chancen für übergreifende Optimierungen.
Maßnahmen
- Initiierung einer Best Practice-Initiative zu Circular Economy Design Tools mit Entwicklerinnen und Entwicklern und Anbietern von Design- und Konstruktionstools und Entwicklung von Standards mit Stakeholdern für die effektive Nutzung digitaler Tools für zirkuläres Design (ggf. als Open Source Lösungen zur Nutzung für bestimmte Akteursgruppen, beispielsweise im europäischen Raum).
- Forschungsförderung zum Einsatz von (generativer) KI zu Entwurf und Optimierung zirkulärer Produkte und Prozesse (inkl. Möglichkeiten zur Verbesserung von Ressourcenschonung durch 3D-Druck und kreislauffähigem Leichtbau).
- Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) beabsichtigt, in den kommenden Jahren gezielt (international ausgerichtete) Forschungsprojekte des Umweltbundesamtes anzustoßen, die die umweltrelevante Referenzdatenbasis (LCA-Daten) erweitern und Verfahren für die perspektivische Nutzung der künftigen DPP-Daten erarbeiten, damit unabhängige, qualitätsgesicherte Umweltdaten im DPP vorliegen.
Im Zielbild der Circular Economy wird eine einzige einheitliche und konsistente Datenbasis im Unternehmen für alle Prozesse unternehmerischer Planung, Steuerung und Reporting verwendet.
Maßnahmen
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wird Pilotprojekte für eine Toolbox „Integrierte Unternehmens- & Produktionsplanung für die Circular Economy" und deren Integration in Business Software durch Best Practice-Initiativen von Industrie und Softwareanbietern fördern. Die Toolbox soll sich am Kontext von Industrie 4.0 und Manufacturing X orientieren, um Kompatibilität und Interoperabilität mit bestehenden Planungs-Systemen sicherzustellen.
Initiativen zur Stärkung von digitalen Circular Economy Kompetenzen in der Berufs- und Hochschulausbildung und in Kooperation mit den Ländern auch konkrete Bildungsmodule sollen weiter vorangetrieben werden (z.B. Lerninhalte zu computergestützter Konstruktion und Engineering sowie zu zirkulärer Wertschöpfung und Unternehmenssteuerung).
Zudem ist die Forschungs- und Innovationsförderung in diesem Bereich zu stärken, bspw. im Rahmen der KI-Leuchtturminitiative des BMUV.
Digitalisierung prägt immer stärker den Konsum der privaten Haushalte und kann damit zu einem wichtigen Hebel für Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz im Alltag werden. Im digitalen Konsum werden derzeit über Plattformen und Onlinehandel durch (personalisierte) Werbung, Social Media Influencing und das Design der Kaufprozesse immer neue Konsumanreize mit entsprechend zum Teil negativen Umweltwirkungen gesetzt. Ein zentraler Ansatzpunkt ist daher, Informationen mit Relevanz für die Circular Economy nutzungsfreundlich aufzubereiten und z.B. während der Kaufentscheidung – gerade beim Online-Shopping – bereitzustellen (Markttransparenz). Zudem können digitale Assistenzsysteme wie Apps, die Konsumentinnen und Konsumenten schon bei der Suche und Bewertung von Konsumoptionen oder im Alltag unterstützen, z.B. durch Pflegehinweise, automatische Wartungserinnerungen etc. Durch digitale Plattformen kann die gemeinsame Nutzung von Produkten in einer Sharing Economy oder die Weiternutzung als Second-Hand-Ware ermöglicht werden.
Maßnahmen
Zur Erreichung der Ziele sind auf Bundes- oder EU-Ebene u.a. die folgenden Maßnahmen erforderlich:
im Zuge der Entwicklung des DPP, die Verknüpfung der Produkte im Onlinehandel mit Informationen über die Zirkularität und insbesondere über deren Reparierbarkeit. Dies soll die Basis für entsprechende Vergleichsportale schaffen.
Weitere Stärkung der Gleichbehandlung von stationärem Handel und Onlinehandel bei den Vertreiber- und Informationspflichten nach dem ElektroG. Verbesserte Informations- und Beratungsangebote für Verbraucherinnen und Verbraucher schaffen, u.a. mit den Verbraucherzentralen, um Konsumentinnen und Konsumenten auf die Einführung des DPP vorzubereiten und sie zur Nutzung der Daten zu befähigen. Dazu gehört auch auf die Möglichkeit der Reparatur hinzuweisen, sowie Weiternutzung und Wiederverwertung im Rahmen der Umweltbildung.
Online-Plattformen und Fulfilment-Dienstleister sollen ihren Beitrag dazu leisten, dass ausschließlich solche Produkte auf den deutschen Markt gebracht werden, die die europäischen Anforderungen erfüllen und für die die Hersteller auch ihre Herstellerverantwortung übernommen haben.
Erarbeitung eines Konzepts für digitale Lösungen und Maßnahmen, um nachhaltigen Konsum für die Kreislaufwirtschaft umfassend zu unterstützen. Dies umfasst Kaufentscheidungen ebenso wie die Lebenszeitverlängerung von Produkten bei der Nutzung. Vorhandene Entwicklungen (z.B. KI-basierte Sprachassistenten) werden einbezogen. Ein wichtiges Thema wird die Weiterentwicklung von Plattformen für ressourcenschonende Produkte, Dienstleistungen wie Reparatur und Sharing sowie Second-Hand-Angebote für eine auch überregionale Nutzung sein. Zudem sollen Maßnahmen für die Verbesserung qualitätsgesicherter Informationen – etwa durch Zertifikate und Umweltzeichen – erarbeitet werden.
Am Ende der Nutzungsphase kann Digitalisierung die gewerblich und privat Nutzenden dabei unterstützen, Abfälle zu vermeiden. Ein Schwerpunkt liegt hier auf der Schnittstelle zwischen privatem Haushalt bzw. Gewerbebetrieb und der Abfallwirtschaft, um so den Verlust von wertvollen Rohstoffen in den Restmüllfraktionen zu reduzieren. Im Betrieb hilft Digitalisierung bei der Optimierung von Logistik und Routenplanung sowie der Erkennung und Qualifizierung von Abfällen.
In der Phase von Aufbereitung und Recycling der erfassten Reststoffe erleichtern digitale Informationen die Nachverfolgung und Identifikation von Stoffflüssen für die Recyclingwirtschaft und erhöhen die Effizienz von Sortiertechnologien sowie die Qualität der Verwertung, daher ist die Etablierung und Weiterentwicklung dieser Systeme zur Aufbereitung zu fördern und zudem die Fortentwicklung und Etablierung digitaler Handelsplattformen als wichtige Kanäle für die Vermarktung von qualitätsgeprüften und zertifizierten Sekundärmaterialien und die Vernetzung der Recyclingbranche mit den abnehmenden Produzenten zu unterstützen.
Förderung von Pilotprojekten zur Verbesserung der digitalisierten Abfalltrennung, z. B. mittels KI-Anwendungen, über Wettbewerbspreise für Kommunen oder im Rahmen von Kommunikations- und Mobilisierungskampagnen.
Gemeinsam mit der Entsorgungswirtschaft wollen wir digitale Nachweise, Prozessdokumentation und Zertifikate für die Rezyklatqualität vorantreiben, auch als Basis digitaler Handelssysteme in allen wesentlichen Stoffströmen (vgl. Kap. 3.8 des Strategietextes).
Der Übergang in eine Circular Economy ist ein langfristiger Prozess, der regelmäßig überprüft werden muss, um Anpassungen an veränderte Bedingungen zu ermöglichen.
Im Rahmen der Einführung von DPP soll eine anonymisierte Querschnittsauswertung von Daten zum Einsatz von sekundären Rohstoffen in ausgewählten Produktgruppen unter Beachtung des Datenschutzes und relevanter Schutzrechte für mehr Markttransparenz ermöglicht werden. Diese Daten sollen von der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) aufbereitet werden.
DPP-Daten sollen auch für die Stärkung von Marktüberwachung und Vollzug im europäischen Raum nutzbar gemacht werden.
Flankiert wird dies durch neue Forschungsvorhaben, um Daten zu Umsetzungsstatus und Trends etwa von Reparatur oder Refurbishment für ein Monitoring quantitativ zu erfassen.