Kunststoffe
Kunststoffe sind allgegenwärtig und werden in jedem Wirtschaftsbereich, in der Mehrzahl von Produktionsprozessen und in einer unüberschaubaren Anzahl von vielfältigsten Produkten eingesetzt, z. B. in Fahrzeugen, Gebäuden, Infrastruktur für Strom, Wasser und Abwasser, Elektronikgeräten und in der modernen Medizin. Der Handlungsdruck in Richtung Kreislaufwirtschaft im Bereich Kunststoffe entsteht durch die niedrige Zirkularität im Sektor und durch die wachsenden globalen Einsatzmengen. Im Jahr 2021 umfasste die Kunststoffproduktion in Deutschland ca. 21,1 Millionen Tonnen, davon waren lediglich 1,65 Millionen Tonnen Rezyklate. Der überwiegende Anteil der in Verkehr gebrachten Kunststoffe basiert auf Erdöl. Biobasierte Kunststoffe haben in Deutschland einen Marktanteil von ca. 1 Prozent.
Vom gesamten Kunststoffabfallaufkommen in Deutschland von jährlich 5,7 Millionen Tonnen werden derzeit weiterhin 64 Prozent verbrannt – lediglich 35 Prozent werden stofflich verwertet. Beim Rezyklatanteil aus Endverbraucherabfällen (Post-Consumer-Abfälle, PCR) sind es 33 Prozent, die stofflich verwertet werden. Dabei kommen ganz überwiegend werkstoffliche Recyclingverfahren zum Einsatz. Chemische Recyclingverfahren haben derzeit einen marginalen Anteil von 26.000 Tonnen. Vor dem Hintergrund, dass chemische Recyclingverfahren energieintensiver als werkstoffliche Recyclingverfahren sind, sollte chemisches Recycling ergänzend nur dann zum Einsatz kommen, wenn keine Möglichkeit einer werkstofflichen Verwertung besteht oder wenn z.B. hohe Standards für das Endprodukt gefordert sind (Bsp. Einwegwindeln, Lebensmittelverpackungen).
Am meisten Kunststoff wird in absteigender Reihenfolge in den Bereichen Bau, Verpackungen, Fahrzeuge und Elektronik verbraucht. Ohne Reduktion der Plastikproduktion und grundlegende Transformation zur Zirkularität würden bis 2050 weltweit ca. 56 Gigatonnen CO2 allein durch Produktion und Verbrennung von Kunststoffen freigesetzt werden – 10-13 Prozent der Treibhausgase des verbleibenden CO2-Budgets für die Einhaltung des 1,5°C-Ziels. Die chemische Industrie steht somit vor der großen Herausforderung, eine fossilfreie Rohstoffbasis zu erreichen. Dabei werden drei Ansatzpunkte diskutiert: die größte Rolle spielt die Nutzung von Kunststoffabfällen für Rezyklate. Des Weiteren kommen die Nutzung von Biomasse, die allerdings nur eingeschränkt verfügbar ist und aus nachhaltigem Anbau stammen muss, und, wo dies einen Klimaschutznutzen erbringt, auch die Nutzung von CO2 aus Punktquellen und der Atmosphäre (Carbon Capture and Utilisation - CCU, vgl. Kap. 1.4 des Strategietextes) in Frage. Durch die vermehrte Kreislaufführung von Kunststoffen kann der Bedarf an Primärrohstoffen zwar verringert werden. Gleichwohl sind auch die Potentiale von Recyclingverfahren je nach Anwendungsbereich nach heutigem Technikstand begrenzt. Hieraus ergeben sich Herausforderungen – aber auch mögliche Chancen für Innovation und Wettbewerb – insbesondere für die chemische Industrie, wenn die Rohstoffbasis umfassend verändert werden soll und Deutschland dabei Technologieführer wird.
Eine weitere Herausforderung ist der Einsatz bzw. das Entstehen von Mikroplastik-Partikeln und die damit verbundenen unkontrollierten Einträge in die Umwelt. Das hohe Ausmaß problematischer Auswirkungen durch Kunststoffe und Kunststoffverschmutzung auf Ökosysteme ist anerkannt und wird durch erste EU-weite Regelungsansätze vermindert. Dagegen sind die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bislang kaum dokumentiert oder systematisch erforscht. Kunststoffe sind in vielen weiteren Handlungsfeldern der NKWS, insbesondere auf Produktebene, von Bedeutung. Dieses Kapitel fokussiert vor allem die Materialebene.
Folgende Regelwerke und Vorhaben sind bereits in Vorbereitung und sind wichtige Rahmenbedingungen für die Ziele der NKWS im Handlungsfeld Kunststoffe:
EU-Verpackungsverordnung (PPWR): In der kommenden EU-Verpackungsverordnung werden die Mitgliedstaaten wie auch schon unter der geltenden Verpackungsrichtlinie (RL 94/62/EG) verpflichtet, bis 2030 mindestens 55 Prozent der Kunststoffverpackungen zu recyceln. Zudem müssen alle Verpackungen recyclingfähig sein, wobei dies ab 2035 die großmaßstäbliche Recyclingfähigkeit beinhalten soll. Für den Kunststoffanteil in Verpackungen sind Rezyklateinsatzquoten für die Jahre 2030 und 2040 vorgeschrieben. Die EU-Verpackungsverordnung wird voraussichtlich Ende 2024 von Parlament und Rat angenommen. Die Verordnung tritt 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft. Sie gilt 18 Monate nach Inkrafttreten unmittelbar in den Mitgliedstaaten, außer für die Artikel, die eine andere Frist vorsehen. Das deutsche Verpackungsgesetz muss daher bis Mitte 2026 an die EU-Verordnung angepasst werden. Dabei sind auch die Gestaltungsspielräume auszufüllen, die die PPWR dem nationalen Gesetzgeber eröffnet.
Die Bundesregierung erarbeitet eine Carbon Management Strategie, die mögliche Einsatzgebiete u. a. für Carbon Capture and Utilisation (CCU) benennt sowie die rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Hochlauf einschließlich des Aufbaus der notwendigen Infrastruktur identifiziert (vgl. Kap.1.4 des Strategietextes). Die bisherigen Pilotanlagen und Verfahren sind aufgrund ihres beträchtlichen Wasserstoffbedarfs energieintensiv, ihnen wird jedoch mit höherer Verfügbarkeit von grüner Energie eine wichtige Rolle bei der Transformation der chemischen Industrie zukommen. Sie können Kunststoffrezyklate und Biomasse als Rohstoffquelle wo notwendig ergänzen.
Auf der internationalen Ebene unterstützt die Bundesregierung die Entwicklung eines Abkommens zur Beendigung der Plastikverschmutzung, das von den UN verhandelt wird. Hier sollen die Grundlagen für eine global nachhaltige Nutzung von Kunststoffen geschaffen werden. Die Bundesregierung setzt sich dabei für global verbindliche Vermeidungsziele, harmonisierte Vorgaben und die Mobilisierung von notwendigen Finanzmitteln v.a. aus dem Privatsektor ein, um eine angemessene Finanzierung sicherzustellen.
Auf Grundlage der in Kapitel 1.3 dargestellten Vision einer umfassenden Kreislaufwirtschaft für das Jahr 2045 und als Ergänzung des Leitbildes und der übergeordneten Ziele, die in Kapitel 2 formuliert werden, gelten für dieses Handlungsfeld zusätzlich die folgenden Ziele:
- Schrittweise Erhöhung des Rezyklatanteils aus Endverbraucherabfällen, in Kombination mit einer Steigerung der Sortier- und Recyclingkapazität;
- Gesteigerter Rezyklateinsatz bei der Herstellung von Kunststoffen, differenziert nach Stoffarten (polymerspezifisch (z.B. bei PET, PP, PVC und PS)
Zur Erreichung der Ziele sind auf Bundes- oder EU-Ebene u.a. die folgenden Maßnahmen erforderlich:
Dialog zur Materialvielfalt bei Kunststoffen
Steigende Produktanforderungen haben die Entwicklung immer neuer Kunststoffarten erforderlich gemacht. Gleichzeitig erschwert das Inverkehrbringen neuer Kunststoffvarianten die Erfassung sortenreiner Stoffströme, den Aufbau ökonomisch rentabler Recyclinginfrastrukturen und die Zirkularität bei Kunststoffen. Hier soll ein Dialog der Bundesregierung mit der Industrie zur freiwilligen Reduktion der Materialvielfalt insbesondere hinsichtlich des Einsatzes von Thermoplasten treten, ansetzen.
Stärkung des Rezyklatanteils bei Kunststoffen
Mittel- bis langfristig sind Rezyklateinsatzquoten auf EU-Ebene unter Beteiligung der Wirtschaft weiterzuentwickeln und zu unterstützen. Rezyklateinsatzquoten müssen marktorientiert, verlässlich und bürokratiearm ausgestaltet sein, klare Marktsignale aussenden und Investitionssicherheit gewährleisten. Zentrale Bedingungen sind ausreichende Verfügbarkeit, Qualität und Akzeptanz von Rezyklaten sowie eine flankierende Marktanalyse, die auch mögliche Auswirkungen der Rezyklateinsatzquoten auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bewertet. Beispiele dafür sind:
Produktbezogene Mindestrezyklatanteile aus Endverbraucherabfällen für den Weg zu Zirkularität bei Kunststoffen. Damit werden Anreize für den Aufbau von Sammelstrukturen und Rücknahmesystemen und für Recyclingtechnologien gesetzt. Die Auswahl von Produktgruppen und die Höhe der Quoten soll im Dialog mit Branchenvertretern und der Wissenschaft erfolgen. Voraussetzung ist, dass geltende Qualitätsanforderungen weiterhin erreicht werden. Dafür notwendig sind stringente Qualitätskontrollen importierter Kunststoffrezyklate.
Einführung verpflichtender Anteile recycelter, möglichst schadstofffreier Materialien bei der Herstellung von Kunststoffen(sog. polymerspezifische Quoten). Diese setzen unabhängig vom Produkt direkt beim Kunststoff bzw. Polymer an. Für einzelne Kunststoffsorten (z.B. PET, PP) wird dabei festgelegt, welcher Masseanteil der Produktion durch rezyklierte Kunststoffabfälle gedeckt werden muss, um in Europa in Verkehr gebracht werden zu dürfen. Der Markt regelt dann selbst, in welchen Produktanwendungen die Rezyklate zum Einsatz kommen. Der Wirkmechanismus solcher polymerspezifischen Substitutionsquoten lässt sich folgendermaßen skizzieren: Sie würden sowohl für in Deutschland und Europa produzierte Kunststoffe als auch für importierte Kunststoffprodukte gelten und schrittweise erhöht werden. Die Einführung muss mit Blick auf den Binnenmarkt EU-weit erfolgen (z.B. über eine EU-Richtlinie) und für ein Level-Playing-Field auch importierter Produkte sorgen. Es gilt, dabei handelspolitische und ‑rechtliche (WTO-Recht; Freihandelsabkommen) Fragen mit einzubeziehen. Durch verbindliche Vorgaben zum polymerspezifischen Rezyklatanteil bei der Kunststoffproduktion wird der ökologische Fußabdruck von Kunststoffprodukten reduziert. Gleichzeitig zielt eine solche Regulierung darauf ab, die Nachfrage nach Rezyklaten langfristig zu steigern (Pull-Effekt) und damit Planungssicherheit sowie Anreize für Innovationen zu schaffen. Ziel ist, die nachgelagerten Wertschöpfungsketten mit ausreichenden und den Bedarfen entsprechenden Mengen an Kunststoffen mit Rezyklatanteil zu versorgen (Push-Effekt). So sollen preisbezogene Wettbewerbsnachteile von Rezyklaten reduziert werden. Dieses Instrument wirkt sich auf die gesamte Wertschöpfung aus, da Inverkehrbringer und Hersteller von Kunststoffprodukten mit einem zuverlässigen Angebot von Rezyklaten planen und darauf ihre Produktion ausrichten können. Diese Quote stimuliert somit Investitionen in das Recyclinggeschäft in der Chemie- und Kunststoffindustrie, bei Entsorgern und Recyclern. Um den regulatorischen Aufwand insbesondere auf EU-Ebene möglichst gering zu halten, kann sich dieses Konzept nur auf die mengenmäßig am meisten vertriebenen Polymere und auf die Akteurinnen und Akteure mit den größten Marktanteilen beziehen. Realistische Ziele sind in einem Stakeholder-Prozess zu klären, der relevante Branchen einbezieht und Anforderungen verschiedener Stakeholder integriert.
Einführung einer Einspeisevergütung prüfen und ein Konzept modellhaft für den Kunststoffsektor erarbeiten. Die Höhe der Vergütungen könnte nach dem Modell der „Carbon Contracts for Difference“ an die Einsparung von Treibhausgasen durch die Verwendung von Rezyklaten gegenüber der Neuproduktion von Kunststoff gekoppelt werden und die Wettbewerbsfähigkeit der Rezyklate dauerhaft erhöhen Der Markt regelt dann selbst, in welchen Produktanwendungen die Rezyklate zum Einsatz kommen.
Abbau von Hemmnissen für den Rezyklateinsatz durch Normung
dafür einsetzen, Einsatz in einschlägigen Gremien, um Normungsaufträge sowohl auf der nationalen als auch der europäischen Ebene zu initiieren (vgl. Kap. 3.4 des Strategietextes). Die vom DIN koordinierte Normungsroadmap hat deutlichen Bedarf für zu überarbeitende sowie neue Normen gerade bei Kunststoffen aufgezeigt. Aktuelle Normen beziehen sich vor allem auf Verfahren des mechanischen Recyclings und bilden nicht angemessen alle Dimensionen des Recyclingprozesses ab. Diese Lücken in der Normierung beziehen sich nach Aussagen der DIN CE Normungsroadmap insbesondere auf Schadstoffe, Additive in Compoundierungsprozessen und in der chemischen Analytik in Bezug auf Geruch und Ausgasungen. Zusätzliche Normen sollen insbesondere die standardisierte Bewertung einer Lebenszykluskostenbetrachtung, Standards zur Bewertung der Wiederverwendbarkeit von Kunststoffen und Kunststoffabfällen sowie Branchenstandards zur Wiederverwendbarkeit von Kunststoffverpackungen entwickeln.
Optimiertes Recycling von Kunststoffen
Nicht nur zur Vermeidung von CO2-Emissionen, sondern auch weil recycelter Kohlenstoff eine Voraussetzung für den Weg in eine fossilfreie Chemieindustrie ist, muss die thermische Verwertung von Kunststoffen deutlich reduziert werden. Hierfür sollen werkstoffliche Recyclingverfahren weiterentwickelt und vermehrt genutzt werden und das chemische Recycling für solche Abfallströme entwickelt werden, die bislang nur thermisch verwertet werden.
Durch Design for Recycling soll erreicht werden, dass dort, wo dies möglich ist, Materialien eingesetzt werden, die mechanisch recycelt werden können. Deshalb sind chemische Recyclingverfahren als Ergänzung zum mechanischen Recycling für Stoffströme zu unterstützen, für die mechanisches Recycling nicht in Frage kommt. Industrieseitig wird das Massenbilanzierungsverfahren „fuel use excluded“ als Voraussetzung für Investitionen in das chemische Recycling beschrieben. Die Bundesregierung befürwortet diese Massenbilanzierungsmethode und hat sich in Abstimmungsprozessen auf EU-Ebene dafür eingesetzt.
Forschung
Stärkung der BMUV-Ressortforschung, wobei darauf zu achten ist, erfolgreiche Forschungs- und Pilotprojekte schnell zu skalieren:
- Entwicklungen im Bereich der Kunststoffrecyclingtechnologien zu: in verschiedenen Einsatzbereichen vorhandenen Kunststoffquantitäten und -qualitäten, insbesondere für Produktkategorien mit unzureichender Datenlage für Zirkularität; Kennzahlen und Indikatoren zur Bestimmung der Kreislauffähigkeit von Kunststoffen; den technologischen, ökonomischen und ökologischen Eigenschaften verschiedener Kunststoffrecyclingtechnologien des werkstofflichen Recyclings, enzymbasierter Verfahren und chemischer Zerlegungsverfahren; Umgang mit Verbundmaterialien, dort wo der Einsatz von nicht verbundenen Materialien nicht möglich ist.
- Einsatz und Umgang mit Flammschutzmitteln in Abfällen technischer Kunststoffe aus Elektro- und Elektronikgeräten sowie dem Automobilbau und dem Baubereich.
- Daten, Methoden, Indikatorik zur ökologischen Bewertung von Sortier- und Recyclingtechnologien.